Ob Mezcal, Bourbon oder ganz klassisch Gin, ob weißer oder roter Wermut, selbst der Campari kann mit Suze oder ähnlichem Ersatz finden. Irgendwie ist der Negroni mehr eine Geisteshaltung als ein Drink. Schon oft wurde dieser Dreiteiler beleuchtet und dekonstruiert. In dieser fortlaufenden Serie werden wir uns explorativ (sprich trinkend) in das Feld der italienischen Aperitivkultur wagen.
Ein Licht am Ende des Tunnels
Dazu sei gesagt, dass ich nach den ersten 5 Jahren intensiven Cocktailmischens in einem Tal der Kreativität angekommen bin. Meist wurden dann Manhattans gerührt, da dieses edle Getränk von seiner Basis lebte und meine Begeisterung für Bourbon, Rye und Rum an seiner Spitze waren. Im letzten Jahr wurde ich noch fauler und hab das Eis im Froster gelassen. Pure Erkundung von Rum und Whisky waren es nun, es sammelten sich neben meinen sowieso schon mannigfaltigen Flaschen Proben höherpreisiger aber auch ikonischer Brände. Aus dem Barnerd wurde ein angehender Rumsnob.
Auch wenn meine Meinung da nicht für alle bekömmlich sein sollte, aber der klassische Negroni mit Ginbasis war für mich keine Offenbahrung. Erst recht nicht in klassischer Rezeptur mit gleichen Anteilen. Zu bitter, zu süß, viel Wacholder. Irgendwie verströmte der für mich immer eine Aura der berüchtigten Treffen mit meinen Barfreunden und die Kopfschmerzen sind dann nie fern. Als ich nicht wusste, was ich mit meiner ersten Flasche Rhum Agricole, ein J.M. Blanc 50%, anstellen sollte, hab‘ ich ihn halt statt Gin eingesetzt und war verblüfft! Dann noch einen Zentiliter mehr und zack – frisches Zuckerrohr mit der belebenden Bitterkeit. Wow!
So kam ich zu meiner Liebe vom eigens getauften „Negricole“ (bis heute ist mir kein anderer Name bekannt, auch wenn ich bestimmt nicht der erste Twister bin). Diese schlief jedoch ein, meist hatte ich nur eine Flasche Agricole für Ti Punch da. Anfang des Jahres gab es eine Bitterlikörverkostung rund um Camparialternativen und in den Nachwehen probierte ich mich in allerlei Negronivarianten. Unaufwendig, auch gut in kleinen Mengen zu bereiten und dabei stets spannend ist es nun mein Go-To Drink, der vor allem im Sommer trotz hoher Prozente zu glänzen weiß.
Was landet heute im Glas?
Der erste Drink des Blogs wird also ein neu entdeckter Klassiker meiner Mixzeit! Raus mit dem Agricole. Und siehe da, meine Flasche Clémant Canne Bleue 2016 ist erschreckend leer. Oh nein. Da regt sich eine Querverknüpfung meiner Neuronen. Ich habe ewig nach einem Ersatz für Batavia Arrack gesucht und dank einer meiner Barfreunde, Tim von Drunken Aye-Aye, stolzer Besitzer eines echten Batavias! So deckt der Begriff Arrack ein großes Spektrum an Spirituosen ab, etwa auf Basis von Kokosblütenzucker, doch ist der Batavia Arrack stets aus Indonesien und aus Zuckerrohr und Reis gebrannt. Bekannt war der Batavia Arrack im frühen 20. Jahrhundert als Zutat für Punch, ist dann aber gänzlich in Vergessenheit geraten und ehrlich gesagt noch nicht wirklich wieder aufgetaucht.
Leider ist der E.D. Dekker’s Batavia Arrack nach wie vor nicht in Deutschland verfügbar, aber er lässt sich aus den umliegenden Ländern importieren. 3 Destillen landeten hier im Cuvée aus Pot-Still Melasserum und Reisbrand, welche 1 Jahr im Teakholzfass gemeinsam reifen durften. Farblich bleibt davon ein blassgelber Reflex in der Flasche. Statt nun den Brand im einzelnen zu besprechen begehe ich das Sakrileg und schmeiß in direkt in den Drink! Vielleicht eine kleine Impression für Interessierte: Warm kommt stärker der Melasseanteil durch und ist dann floral und dezent mit schweren Estern ausgestattet, wird er jedoch kalt kommt der fruchtige Funk samt Reiswürze stärker zum Vorschein. Eine ebenso entspannte wie belebende Mischung, wie man sie auch beim Acid Funk von Jamiroquai vorfindet. Der Drang die Beine durch den Raum zu werfen, aber dennoch laid-back mit Sonnenbrille bzw. prachtvollem Kopfschmuck im Club.
Arrack Negroni
2,5 cl E.D. Dekker’s Batavia Arrack
2 cl Martini Ambrato Vermouth
1,5 cl Campari (25 % Alk.)
Auf einen dicken Eiswürfel gegossen und dank Sommerlethargie nur müde geschwenkt statt zu rühren.
Süß, dickflüssig, funky. Ein blassrot glitzert mir entgegen. Im ganzen Raum verteilt sich diese eigenartige Mischung aus einem klassisch kurzgelagerten Melasserum, wie etwa bei Havana Club üblich, mit süß-kernigem Reis eines Shochu. Dazu der Funk, wenn eine wirklich völlig überreife Ananas dieses Negronitwists träge über meine Zunge fließt. Im Kehldelta angekommen sickert auch ein wenig krautige Bitterkeit von Campari und Wermut in meine Sinne. Fruchtgummi boxt sich mit Chinarinde, Kleber mit Grapefruit, der frische Bitterkick gegen zähe Melasse. Wie weitreichend da auch die Süße sein kann. Zuckerwatte, spitze Fruktose, ein ganz bisschen Karamell. Ein Tropennegroni, der mich auch nicht bei 32° C Zimmertemperatur (Süd-Westseite, Altbau) hängen lässt. Die 50 % Alkohol vom Arrack sind dabei perfekt, damit der Drink nicht zu süffig wird, sondern eher zum Nippen anregt.
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